Nichts neues über das Nichts

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Was es bedeutet, wenn die Erbin einer Drogeriekette behauptet, dass “nichts mehr da” sei von ihrem Privatvermögen, darüber macht sich heute in der “taz” die Autorin Anna Klöpper einen (kleinen) Kopf – und muss am Ende die Waffen strecken, weil natürlich auch sie nicht weiß, was nichts ist.

[Paul]

Nichts begreifen (oder auch nicht)

Janne Teller, Nichts

Ein Streitgespräch.

Peter: Mein lieber Paul, sag, warum hast du eigentlich neulich unseren Lesern verschwiegen, dass du Janne Tellers “Nichts” selbst schon gelesen hast?

Paul: Weil ich nach mittlerweile sogar mehrfacher Lektüre nicht sicher bin, was es darüber zu berichten gäbe. Habe ich bloß nichts begriffen und Nichts ist großartig, oder habe ich Nichts begriffen und nichts daran ist der Rede wert?

Peter: Nichts ist nicht großartig, aber der Rede wert. Du hast nicht nichts begriffen, aber auch nicht genug von Nichts.

Paul: Sicher weiß ich bloß, wenn die Aufgabenstellung lautete, eine Geschichte zu schreiben, die um Aufnahme in den Oberstufenliteraturkanon bettelt, dann hat Frau Teller mit Auszeichnung bestanden: Über diesen Plot wird man als junges Mensch diskutieren können, bis die Gehörgänge glühen. (Insofern wäre ich bei jener Schulveranstaltung gern ein Mäuschen gewesen.) Aber lohnt sich die Mühe der Mundbewegung? Im Grunde ist die Story doch im mindestens elften Monat bedeutungsschwanger, ohne dass wir jemals erfahren, ob’s nun ein Junge oder ein Mädchen wird – oder doch nur eine Maus.

Peter: Du sagt es doch selber: Das ist für Jugendliche geschrieben. Da darf man auch mal ein bisschen plakativer sein. Vielleicht musst du sogar ein wenig zwischen den Zeilen lesen …

Paul: Was wäre denn da noch zu finden zwischen all den plakativen Zeilen? Womöglich eine Erkenntnis, und wenn ja: welche? Über Zweidrittel der Strecke war ich sicher, da kommt noch eine; aber mit dem Finale war’s vergeigt. US-Museum, weltweiter Medienrummel, pah! Und die Moral von der Geschicht? Was keiner zahlt, das lohnt sich nicht. Pardon, aber das ist nicht plakativ, sondern platt. Und eine ziemlich fragwürdige Botschaft an die nächste Generation: Die materielle Komponente wäre demnach die einzig Bedeutung stiftende.

Peter: Na gut, fangen wir mit dem Schluss an: Mit dem “Berg der Bedeutung” und seiner Bildsprache. Der setzt sich nämlich zunächst aus kleinen Habseligkeiten zusammen, dann aus immer wichtiger und persönlicher werdenden Dingen. Er wächst, wird gewichtiger, wird größer, gewaltiger, um doch immer wieder hinterfragt zu werden. Könnte man schon am Anfang des Buches diesen Berg sehen, würden die Kinder gleich gar nicht damit anfangen, ihn zusammenzustellen. Und dennoch ist er bei all seiner Größe am Schluss doch wieder bedeutungslos. Oder eben nicht. Oder doch. Oder nicht. Und das ist doch die unentwegte Frage: Ab wann ist die Bedeutung groß genug? Gibt es sie je, diese Größe?

Paul: Wenn du schreibst, “um doch immer wieder hinterfragt zu werden”, dann hast du zwischenzeilig anderes gelesen als ich. Mein Eindruck nämlich, vielleicht auch gestützt durch den allzu lakonisch-distanzierten Stil, war, dass mit dem Anwachsen des Berges das Hinterfragen immer weniger wurde. Da steigern sich alle Beteiligten in eine beängstigende Teilnahmslosigkeit hinein und geben dem arglosen Leser so gar keine Handreichung, vielleicht doch irgendwo irgendeine Bedeutung zu finden. – Ja, ich glaube, das ist es, was mich am meisten stört: Hier wird, nach zunächst vielversprechender Fragestellung, ein Nihilismus glorifiziert, dass selbst gestandene Mannsbilder nach der Lektüre spontan aufspringen und in die finsterste Ecke des Waldes eilen möchten, um sich daselbst zu entleiben – wie soll denn erst ein von pubertärem Hirnschwamm geplagtes Jungmensch mit derart ausufernder Hoffnungslosigkeit umgehen?

Peter: Der Witz ist doch gerade, dass die pubertären Hirnschwämme voll sind von diesem Nichtsbezug. Zukunftsangst, Sinnsuche, Körperfindung, Hinterfragen von Religion, die Entdeckung der Abgründe eines Erwachsenenlebens, der Abschied von der reinen Kindheit – all das sind Nichtssauger erster Güte. Und darum holt das Buch die Jugendlichen genau da ab, wo sie gerade stehen. Im Gegensatz zu irgendwelchen Teenager-Ersatzideologien, wie sie die Vampirgeschichten von Stephenie Meyer oder “Super”stars wie Miley Cyrus anbieten, werden hier die Kids aber ernst genommen.

Paul: Ernst genommen? Vor allem werden sie mit ihren drängenden Fragen allein gelassen. Aber vielleicht ist ja gerade dies das Raffinierte, dass sich das Sujet in der Leseerfahrung spiegelt – hat dieses Buch eine Bedeutung, für wen und aus welcher Perspektive?

Peter: Eben. So gesehen kann man dem Buch zugute halten, dass es die richtigen Fragen stellt, ohne sie explizit zu stellen oder gar zu beantworten. Das macht dann der Deutschlehrer.

Paul: Wollen wir’s hoffen … Denn “Nichts” ohne kompetente pädagogische Begleitung auf ein pubertierendes Hirn loszulassen grenzte ans Kriminelle.

Peter: Nun übertreibst du’s aber, mein lieber Paul … Wenn’s übrigens ein guter Lehrer ist, lässt er die Kids von allein auf die entscheidenden Fragen kommen. Und wenn er richtig gut ist, geht er noch ein Stück weiter und lässt die Schüler das Buch auch sprachlich sezieren, um ihnen abschließend die Frage zu stellen, ob Jugendbücher wirklich so holzschnittartig sein müssen, um zu funktionieren. Ich glaube nämlich nicht. Vielleicht ist “Nichts” aber auch bewusst so geschrieben, dass es auch als Schülertheater umgesetzt, als Schulfilm verwirklicht und als Schulcomic gezeichnet werden kann. Warten wir mal ab, was Hollywood sagt.

Paul: Muss ja nicht Hollywood sein – Michael Haneke könnte aus dem Stoff auch was machen.

Peter: Oder Michael Haneke in Hollywood.

Paul: Amen.

Google zu Nichts

Das heutige polnische Google-Doodle beschäftigt sich in aufwändigster Weise mit Stanislaw Lem, dessen erstes Buch heute vor 60 Jahren erschien. Das Ende des wunderbar gezeichneten interaktiven Filmchens bildet die neulich hier beschriebene Szene, bei der die von Trurl erschaffene und Klapauzius befehligte Maschine Nichts schafft, worunter dann auch Google selbst leidet. Zu kompliziert? Anschauen! (Aber nur heute.)

lem

[Paul]

Erst das Nichts, dann der Papst

und als ich grade mit den kindern, die auf den hauptbahnhof zu ihrer mutter mussten, in der straßenbahn an der kreuzung mollstraße/leipziger-straße feststeckte, da kamen so viele, viele, viele, viele polizeimotorräder und dann einsatzfahrzeuge und alles war abgesperrt und dann kam nichts und dann wieder sehr viele motorräder, und dann schon wieder nichts und dann einige einsatzwagen und noch mehr von diesem nichts und als ganz lang überhaupt gar nichts gekommen war, und die straßen gähnten vor all dem nichts, da näherte sich mit einem großen, stummen blaulichtgetöse eine pfeilformation aus motorrädern mit blaulicht und ich hob meinen sohn aus seinem kinderwagen und wir klebten uns an die scheiben der straßenbahn, von wo meine tochter schon die ganze zeit nicht mehr wegzukriegen war und dann kam diese pfeilformation direkt auf uns zu und bog kurz bevor sie auf uns stieß um 90 grad nach rechts ab und in ihrer mitte, behütet wie eine bienenkönigin, da muss er wohl gewesen sein, in einer der vielen schwarzbescheibten limousinen, die da eingepfercht von streifenwagen sich an uns vorbeischoben. und ich rief laut: da ist er, der papst. und es ging ein ehrfürchtiges raunen durch den straßenbahnwaggon und ein wo? japste aus vielen kehlen und die jugend knipste mit ihren smartphones und mein sohn sagte: das sind aber viele motorräder. und die tochter sagte: papst? was ist ein papst?

[Paul]

Nichts-Zitate (21)

“Maschine, schaffe Nichts!”
Die Maschine erstarrte und rührte sich nicht. Klapauzius rieb sich triumphierend die Hände, aber Trurl sagte: »Was willst du eigentlich? Hast du etwas anderes erwartet? Du hast ihr befohlen, nichts zu schaffen, also schafft sie nichts.«
»Das stimmt nicht. Ich habe ihr befohlen, Nichts zu schaffen, und das ist etwas anderes.«
»Was soll das? Nichts ist nichts, da gibt es keinen Unterschied.«
»Wo denkst du hin? Sie sollte Nichts machen, statt dessen hat sie nichts gemacht, also habe ich gewonnen. Denn Nichts, mein neunmalkluger Kollege, ist nicht dein Feld-Wald-und-Wiesen-Nichts, das Resultat von Trägheit und Inaktivität, sondern es ist das dynamische und aggressive Nichts, sozusagen die vollkommene, einzigartige, allgegenwärtige Nichtexistenz in ihrer höchsten Vollendung!!«

Stanislaw Lem: Wie die Welt noch einmal davonkam

Die ganze Geschichte aus den Lemschen Kyberiaden über die Maschine, die Nichts erschaffen konnte, gibt es auch online zu lesen. Wunderbar.

[Peter]

Besser als NICHTS

Bernhard konnte bei seiner Mathematikarbeit nur eine einzige Aufgabe lösen, war aber letzendlich doch froh, dass ihm der Lehrer aufmunternd rückmeldete: “Besser als NICHTS!” In keinem Zusammenhang scheint folgende Geschichte zu stehen (wohlgemerkt ‘scheint’). Frank Bauer (Name von der Redaktion geändert) musste in seinen Therapiesitzungen immer zuerst ein WIDL (Wer-ist-dir-lieber) bearbeiten. Frank B. hierzu: “NICHTS ist mir lieber, als regelmäßig zu Entscheidungen gezwungen zu werden, aber auch gar NICHTS!” Dr. Bilg fügt, um den Fortschritt zu untermauern hinzu: “Von NICHTS kommt NICHTS.” Noch bevor wir Frank Bauer besser kennenlernen können, leitet Therapeut Schresenstreber zu einem neuen Thema über, das nicht einmal NICHTS mit vorher Gesagtem zu tun hat: “NICHTS eignet sich besser dazu, einen Streit vom Zaun zu brechen als die Frage “Was denkst Du gerade”? Ruckzuck entsteht, quasi aus dem NICHTS, ein Dialog – vorausgesetzt die Antwort auf obige Frage war : “NICHTS” , der nur aus gegenseitigen  Vorwürfen besteht:

“Dir kann man NICHTS glauben!

Du taugst zu NICHTS!”

“Du kannst auch gar NICHTS.”

“Du hast aber auch gar NICHTS verstanden!”

Dich kann man auch gar NICHTS machen lassen.”

“Dumm geboren und NICHTS dazu gelernt…”

“Komm, hör doch auf, Du bist doch zu NICHTS im Stande.”

“Das schmeckt nach NICHTS!”

“Du taugst zu NICHTS” (s.o.)  Einer der Vorwürfe, die kaum geäußert werden und dennoch mental allgegenwärtig sind: “Dumm geboren und NICHTS dazu gelernt!”

“Du bist doch zu NICHTS imstande.”

So, bis hierher: Verstanden?  Wenn nein, macht doch NICHTS!

[Paul]

Nichts-Zitate (20)

Als ich zu mir kam, war es immer noch dunkel. Ich versuchte zu riechen, aber ich roch nichts. Ich versuchte zu hören, aber ich hörte nichts. Ich versuchte mit der Hand um mich herum zu tasten, aber ich tastete nichts. Ich war verloren. Von einem schwarzen Loch verschluckt oder in der Schriftstellerhölle gelandet. So sah es da also aus. Nach nichts. Nach dem absoluten Nichts. Keine Gedanken, keine Erinnerung, keine Inspiration. Einfach nichts.

Wolfgang Kirschner: Hölderlins Hund

[Paul]